Die Universität Erfurt gilt mit ihrem Gründungsprivileg von 1379 als die älteste Alma mater Deutschlands vor Heidelberg (1385) und Köln (1388). Zugleich kann sie sich aber auch die jüngste der deutschen Universitäten nennen, dank ihrer Wiedergründung im Jahre 1994. Sie verbindet somit jahrhundertealte Tradition mit zukunftsweisender Gegenwart. Als echte Bürgeruniversität ging ihre Gründung zum einen vom mittelalterlichen Stadtrat und zum anderen von der heutigen Universitätsgesellschaft aus.
Die Hierana, die Universität an der Gera, bekam 1379 ein päpstliches Privileg, das während des Schismas 1389 erneuert wurde. 1392 konnte der Lehrbetrieb aufgenommen werden. Initiator der Gründung war nicht wie in den meisten anderen Fällen ein Fürst, sondern der Stadtrat der Mittelaltermetropole Erfurt. Rasch entwickelte sich die Alma mater Erfordensis zu einem geistigen Zentrum Mitteleuropas im 15. Jahrhundert, neben dem sich andere Universitäten wie „kleine Schützenschulen“ ausnahmen, so der Erfurter Student und Magister Martin Luther (1501-05). Rund um das Hauptgebäude Collegium maius und die Michaeliskirche entstand ein lebendiges „lateinisches Viertel“, zu dem auch die Georgenburse als „Studentenwohnheim“ Luthers und die Armenburse am Kreuzsand gehörte. Ihr guter wissenschaftlicher Ruf machte die Volluniversität mit allen vier Fakultäten (Philosophie, Medizin, Recht, Theologie) zur zeitweise meistbesuchten Universität des Deutschen Reiches. 1412 stiftete der Rektor Amplonius Rating de Berka seine bedeutende Handschriftensammlung, die heute zur Universitätsbibliothek gehörende Bibliotheca Amploniana. Das “Bologna des Nordens” galt als vorbildliche Pflegestätte rechtswissenschaftlicher Studien und öffnete sich früh dem Humanismus. Aus dem Erfurter Humanistenkreis um Helius Eobanus Hessus in der Engelsburg gingen die berühmten Dunkelmännerbriefe (1515/17) hervor. Ein weiterer bedeutender Gelehrter war der Rektor und Weihbischof Johannes Bonemilch von Laasphe, der Luther 1507 zum Priester weihte.
Allerdings sollte sich das hohe Niveau nicht auf Dauer halten lassen, wozu die protestantischen Konkurrenzgründungen besonders im nahen Jena (1548/58) entscheidend beitrugen. Eine Reform im Geiste des Protestantismus, im Dreißigjährigen Krieg unter Rektor Johann Matthäus Meyfart kurzzeitig umgesetzt, blieb Episode. Einst Gründung einer selbstbewussten Bürgerschaft, fungierte die bikonfessionelle Hierana nach der Unterwerfung der Stadt durch den Landesherren 1664 nur noch als Kurmainzische Landesuniversität. Wiederbelebungsversuche im Geiste der Aufklärung etwa unter Statthalter Karl Theodor von Dalberg – 1769-72 lehrte auch Christoph Martin Wieland in Erfurt – brachten keinen dauerhaften Erfolg. Trotz intensiver Bemühungen der Erfurter, besonders von Prof. Jakob Dominikus, erfolgte die Schließung der Universität 1816 durch den neuen Landesherrn Preußen zugunsten von Halle. Dieser „hochschulfreie“ Zustand sollte lange Bestand haben, auch wenn man den Erfurtern den Fortbestand ihrer angesehenen Akademie gemeinnütziger Wissenschaften (1754) zubilligte und insbesondere der Geschichtsverein (1863) die Universitäts-Traditionen pflegte. Eine preußische Pädagogische Akademie 1929/32 blieb nur kurzlebiges Intermezzo; der 19. Deutsche Historikertag 1937, normalerweise nur in Universitätsstädten durchgeführt, wurde von Stadt und Geschichtsverein unter Verweis auf die Tradition der Alten Universität veranstaltet. Erst die Gründung des Pädagogischen Institutes (1953, 1969 Pädagogische Hochschule) sowie der Medizinischen Akademie (1954) machten die sozialistische Bezirksstadt wieder zum Hochschulstandort. Schon seit 1952 existierte am Dom das Philosophisch-Theologische Studium als einzige Hochschule der Katholischen Kirche in der DDR.
Die politische Wende in der DDR und die deutsche Wiedervereinigung 1989/90 rückten die Realisierung langjähriger Bemühungen um die Neubelebung der Universität Erfurt in realistische Nähe. Ihr Initiator war die 1987 als Bürgerinitiative gegründete heutige Universitätsgesellschaft. Am 29. April 1994 konnte die Wiedergründung durch den Freistaat Thüringen im Augustinerkloster feierlich begangen werden, 1999 startete der Lehrbetrieb. Nach einer Übergangsphase der Zusammenarbeit mit der Pädagogischen Hochschule kam es zur Verschmelzung beider Einrichtungen mit Wirkung vom 1. Januar 2001 zur Universität Erfurt. Allerdings musste zuvor die von heftigen Protesten begleitete „Abwicklung“ der Medizinischen Akademie (1994) hingenommen werden, der die Umwandlung in ein Universitätsklinikum verwehrt blieb. Die geisteswissenschaftliche Ausrichtung der Universität hatte zugleich das Aus für die naturwissenschaftlichen Fachrichtungen an der PH zur Folge.
Diesen Einschnitten stand die internationale Beachtung der neuen Reformuniversität unter Gründungsrektor Peter Glotz (1994-1999) gegenüber. Es gelang dem Medienwissenschaftler, dem Projekt zukunftsweisender Lösungen für die deutsche Hochschullandschaft weltweite Aufmerksamkeit zu sichern. Der Neuansatz äußerte sich v.a. in den Abschlüssen Bachelor (BA) und Master (MA). Hinzu kam ein vorbildliches Betreuungsangebot für die Studierenden und die ambitionierte Profilierung einzelner Gebiete, wie Religionswissenschaft, Kommunikation, Bildungsforschung oder Weltgeschichte. Heute studieren auf dem denkmalgeschützten Campus an der Nordhäuser Straße mit seiner modernen Universitätsbibliothek fast 6000 Studenten an vier Fakultäten: Philosophische Fakultät, Staatswissenschaftliche Fakultät, Erziehungswissenschaftliche Fakultät und Katholisch-Theologische Fakultät. Letztere kam zum 1. Januar 2003 durch die Integration des Philosophisch-Theologischen Studiums zur Universität. Wichtig für das Profil der Universität sind auch das Max-Weber-Kolleg für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien, benannt nach dem in Erfurt gebürtigen Soziologen Max Weber, die Willy Brandt School of Public Policy und die Forschungsbibliothek Gotha mit dem Forschungszentrum Gotha.
Auch wenn die anfängliche Aufbruchstimmung angesichts der „Mühen der Ebene“ normalen Hochschulbetriebs mittlerweile abgeebbt ist, stellt die Universität zweifellos einen großen Gewinn für Erfurt dar. Ihre Integration in das städtische Leben bleibt dabei weiterhin eine Aufgabe der Universitätsmitglieder und der Bürgerschaft. So hätten in der Gründungsphase viele eine stärkere Präsenz in der Innenstadt gewünscht, u.a. in Form des historischen Collegium maius. Die Entscheidung fiel aber für eine Konzentration auf dem Campus im Norden, dessen kulturell-städtebauliche Bedeutung noch stärker im öffentlichen Bewusstsein verankert werden kann. Mit Unterstützung der Universitätsgesellschaft, die das Seniorenstudium (Erfurter Kolleg) organisiert, bringt sich die Universität durch gut besuchte öffentliche Vortragsreihen, Lesungen und Ausstellungen zunehmend in das Kulturleben ein, stellt einen beachtlichen Standort- und Wirtschaftsfaktor dar und gehen auch vom Erfurter „Studentenleben“ nicht nur im Studentenclub Engelsburg (zusammen mit der Fachhochschule Erfurt) einige Impulse aus. (Foto: Zepter der Universität aus dem 15. Jh., Stadtmuseum Erfurt)
(Dr. Steffen Raßloff)